Detlev von Liliencron

An Hugo Wolf (Detlev von Liliencron)

                   

Erinnerst du dich der Tage:

Hinter dir saßen

Conrad, der Hüne, und ich.

Du sangst uns

Deine 53,

Drei-und-fünf-zig!

Mörike-Lieder vor

Und deine ungezählten Wunderweisen

Aus Goethe und Eichendorff.

Wie war das alles neu!

Zum Erstarren neu!

Vorn im Mörike-Heft,

Auf erster Seite,

Hattest du, Bescheidener,

Des Dichters Bild verehrend aufgestellt.

Welcher Tonsetzer tat je so?

Wir erhoben uns.

Auf der Straße

Nahm Conrad, der Hüne, dich

Auf seine Athletenschultern,

Und trug dich durch die Menge,

Wie einst der heilige Christoph das Jesulein

Durch das tosende Wildwasser brachte.

Einer Spielzeugtändlerin

Kauft' ich ein Fähnchen ab.

Und das Fähnchen wuchs schnell

Zur mächtigen prunkenden Fahne.

Einem Flötenbläser winkt' ich,

Der einsam im Kinderkreise blies;

Und er kam und ging mit:

Duidldidum, duidldldum.

Einem Zinkenisten winkt' ich

Aus einer Gassenmusik;

Und er kam und ging mit:

Tatara ta, tatara ta.

Einem Beckenschläger winkt' ich,

Der einem Bärenzeiger gesellt stand;

Und er kam und ging mit:

Dschingdada, dschingdada.

Die drei machten Bockssprünge, während sie spielten,

Und tanzten wie trunkene Derwische.

Vor dem Zuge schwang ich

Die mächtige Prunkfahne hin und her,

Und ich rief:

Platz da, Platz da, Gesindel,

Ein junger Germanenkönig kommt,

Ein König der neuen Kunst!

Platz da, Platz da, Gesindel,

Ein König kommt!

Und die Deutschen

Griffen entsetzt in ihre Taschen

Und fühlten nach den Billetten

Zu »Mamsell Nitouche«.

Und sie rannten schleunig

Zu »Mamsell Nitouche«.

10. 11. 12. X. 1890.

Verfügbare Informationen:
ISBN: 3 15 007694 3
Erschienen im Buch "Gedichte"
Herausgeber: Philipp Reclam jun.